10 >> 25.03.2018 Exhibition

Melanie Bonajo

MI-SO
11:00 >> 19:00
Neue Galerie

„Vielleicht hat es etwas mit dem Überschreiten des Körpers zu tun – Sie wissen schon –, das uns das Internet ermöglicht, das es uns erlaubt spirituell größer zu werden als wir selbst, mehr als wir selbst, anders als wir selbst.“

aus Melanie Bonajos Night Soil – Fake Paradise

 

ANDERS ALS WIR SELBST

>> In den Werken von Melanie Bonajo und Marge Monko besteht ein gemeinsames Interesse an Transzendenz, an der Begegnung (mit einem Menschen, einer Substanz oder einem Produkt), die einen in einen höheren Daseinszustand über das Bekannte oder das Vertraute hinaus hebt. Man erreicht eine höhere Ebene, trotz des Paradoxes, dass, während solche Erlebnisse meist ein gemeinsames, kollektives Bewusstsein hervorrufen, sich deren spezifische Beschaffenheit von der Trennung des individuellen Geistes von banal menschlichen Belangen ableitet. Der transzendentale Moment verbindet und unterscheidet uns gleichermaßen von den Massen unter uns.

Faszinierend ist hier, wie solche Erfahrungen vermittelt werden. Sie werden von neuer Technologie, altertümlichen Heilmitteln, Konsumartikeln und Luxuswaren stimuliert, sodass diese beinahe als spirituelle Führer, als schamanistische Medien, die den Prozess der Selbstentdeckung ermöglichen, agieren. In Melanie Bonajos Film Night Soil – Fake Paradise wird Transzendenz durch das Einnehmen von Ayahuasca, einem amazonischen Heilmittel, das in traditionellen, indigenen Ritualen verwendet wird, erreicht. Der Film erzählt von den Erlebnissen einzelner Menschen und darüber, wie anfängliche Beklommenheit und Angst der starken, bewusstseinserweiternden Wirkung des Gebräus weichen. Bonajo zeigt die Kommentare der betreffenden Individuen anhand erstaunlicher Szenen: eine nackte Frau in einem Schwimmbad, die ein kitschiges Bild einer idyllischen, tropischen Landschaft hält; ein Tableau mit mehreren Kostümierten, die sich von Pflanzen umgeben in Pose werfen und mit ihren Handys Selfies machen; ein in einem halbvollen Bad liegender Meermann, dessen Flossen aus Luftpolsterfolie und einem Besen bestehen; Bonajo selbst, die der verzerrten Aussage eines Farns lauscht („Ich koste fünf Euro, wurde in Deutschland geboren und bin single!“), der vorsichtig auf dem nackten Rücken einer knienden Frau balanciert wird. In einer Szene wird der Waldboden durch den Bildschirm eines iPads beobachtet. Die Beobachterin wendet dann die Linse, um sich selbst beim Beobachten zu beobachten, als ob sie ihre Umgebung, ihre Handlungen nur wirklich „sehen“ könne, wenn diese durch eine Kamera gefiltert werden (diese Szene ist das Gegenstück zum Anfang des Filmes, der zeigt wie Bonajo selbst mit verbundenen Augen durch eine Stadt spaziert).¹ Auf eine gewisse Weise hält dieser Moment die Parallelen zwischen den bewusstseinserweiterten und den vermittelten Erlebnissen fest. Wie bei LSD, durch welches die Pupillen erweitert werden und mehr Licht aufnehmen, scheinen auch die vermittelten Bilder lebendiger, höher aufgelöst und scheinen Details erkennen zu lassen, die dem bloßen (oder abgelenkten) Auge verborgen bleiben. Oder wie eine der dargestellten Personen die Wirkung von Ayahuasca beschreibt: „Nach meiner ersten Zeremonie fühlte ich mich, als hätte jemand diesen USB-Stick in meinen Kopf gesteckt.“

Transzendenz meint auch ruhigere Sehnsüchte. In Marge Monkos Installation New Romance werden gefaltete und gerollte Modemagazine an den Galeriewänden fixiert und geben immer wieder kleine Mengen Raumspray (von Marken mit Namen wie Forest Waters oder Lush Hideaway) von sich. Wie die Gerüche, die einst als Werbung in Magazinen zu finden waren und durch Abziehen eines Papierstreifens freigesetzt wurden, breitet sich Monkos Werk im Äther aus und wird um den/die nichtsahnenden Beobachter*in in die Luft gesprüht. Die Objekte werden zwischen zwei aneinandergrenzende Räume platziert und zwingen einen so, am Weg zum nächsten Raum und Monkos Film Dear D, daran vorbeizugehen und die langsam sich verbrauchenden Schwaden einzuatmen. Dort angekommen tippt ein Computerbildschirm eine Email, in der eine Erzählerin „D“ ihre Liebe gesteht. Sie klickt sich durch Suchmaschinen, Filmaufnahmen, Google Translate, YouTube, nytimes.com, beiläufig werden die Beatles, Siri Hustvedt, André Gorz und Chris Kraus erwähnt. Geschickt integriert dieses Format gefundenes und geplündertes Material, vorgefertigte Software und Bild- und Informationsdatenbanken in das persönlichste literarische Bekenntnis: den Liebesbrief. Allerdings bleiben Sender und Empfänger anonym und auch die Antwort bleibt im Endeffekt unklar, möglicherweise sogar unerwidert (wie von der Sprecherin in den letzten Zeilen angedeutet: „Ich hoffe, dass mein Schreiben zwischen dir, mir und Google Mail bleibt. Wenn Dir dessen Inhalt unangenehm ist, bestehe ich darauf, dass Du es ignorierst. Mach Dir keine Sorgen um mich.“)² Wie Gene McHugh erwähnt, kann die durch das Internet entstehende Vernetzung auch zu Fehlkommunikation und zu tiefgreifender Fehlinterpretation der Gefühle anderer führen:

„Hoffentlich können – während die Vorstellung immer natürlicher wird, dass Beziehungen online durch Bildschirme hindurch geknüpft werden können – beinahe so als wäre dies immer Teil des ganz grundlegenden Baukastens des Lebens gewesen – realistische soziale und ethische Normen (und eine Kultur, die diese Erlebnisse analysiert und mythologisiert) festgelegt werden, um uns den Weg durch die Komplexität des intimen Kommunizierens online zu weisen, und um zu verstehen, was ethisch ist und was nicht. Das Fehlen allgemein definierter Normen schafft eine getrennte, zweischichtige Welt, in der einige in einer Prä-Internet-Realität leben, während andere nur online wirklich sie selbst sein können.“³

Das Internet verspricht alles. Es zeigt, wie man besser wird, wie man erfüllter wird und besteht darauf, dass wir diese unerreichbaren Ziele erreichen müssen. Diese Unvereinbarkeit von Versprechen und Realität wird zu einer Quelle der Angst und dem nagenden Verdacht, dass die Persona, die wir zu sein anstreben, wenn nicht eine Täuschung, dann aber zumindest verzerrt und verstellt ist. Wie kann dieser Verdacht überwunden werden? Man muss einfach das Echte abwerfen, sich komplett und ungeniert dieser neuen Realität unterwerfen und das Virtuelle als Tugend feiern.

Die Einbettung neuer Medien in alle Aspekte des menschlichen Lebens beeinflusst und ändert unsere Art und Weise zu kommunizieren, unsere Interaktion, unser Schaffen und unsere Neuerschaffungen auf subtile Weise und führt eine neue Ebene der Verdinglichung in unsere alltägliche Existenz ein.⁴ Zu einer Zeit des zügellosen und allumfassenden Kapitalismus, der trotzdem das Individuelle bewahrte (oder zumindest eine Illusion dessen schuf), durchflutet dieses neue Entwicklungsstadium unsere Atmosphäre mit nahtloser und pausenloser Vernetzung. Information verbreitet sich, Signale zirkulieren, Daten werden extrahiert. Ohne es je direkt zu sagen, sprechen die Werke beider Künstlerinnen von diesem Gefühl der erbarmungslosen Selbstbehauptung, der Verkündung einer künstlichen Identität, die zugleich echter, zufriedenstellender und vollkommener ist.

1. Das Teilen der Rollen von Künstler*innen und Darsteller*innen erinnert an Claire Bishops Konzept der „delegierten Darstellung“. Während Bishop diese Taktik bestenfalls als eine Art des „Outsourcens“ darstellt, das „störende Ereignisse hervorbringt, die eine gemeinsame Realität des Beobachters und der/des Darstellers/in belegen“, betont Bonajos Verwischen der Unterscheidung von Regisseurin und Schauspielerin, Künstlerin und Subjekt, die Ideen zu Gemeinschaftlichkeit und Zusammenarbeit, die der Ergründung des Ayahuasca- Rituals im Film innewohnen. Dem/Der Beobachter*in erschließt sich nicht, ob Bonajo das Ritual beobachtet oder daran teilnimmt. Claire Bishop, „Delegated Performance: Outsourcing Authenticity’ in: October nr. 140, Frühjahr 2012, S. 112.

2. „Die Kommunikation im Internet ist sowohl vielstimmig als auch abstrakt. Man stellt Dinge online, damit andere Menschen sie sehen und kommentieren können, wenn sie wollen. Doch weiß man natürlich nicht, wer dies tun wird.“ Melissa Gronlund, „From Narcissism to Dialogic: Identity in Art After the Internet“, in: Afterfall, Herbst / Winter 2014, S. 8.

3. Gene McHugh, „The Context of the Digital: A Brief Enquiry into Online Relationships“, in: You Are Here: Art After the Internet, ed. Omar Kholeif (Manchester/London: Cornerhouse/SPACE, 2014), S. 34.

4. „Die Verdinglichung ist soweit fortgeschritten, dass der Mensch ein Selbst- Verständnis erfinden muss, das die Teilnahme an digitalen Milieus und an deren Tempo optimiert oder erleichtert.“ Jonathan Crary, 24/7: Late Capitalism and the Ends of Sleep (London: Verso, 2013), S. 99f.

Text: Chris Clarke

 

Dank an Kranebitter Einrichtungshaus.

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